Im Aufzug

Ein Flügelschlag, das muss reichen, aber das braucht der Pinguin, um sich wohlzufühlen. 

Dicht auf dicht leben sie in ihrer Kolonie, die Pinguine. Einer steht und existiert neben dem anderen, es wird viel geschnäbelt und geschnattert. Leben auf einem Haufen und alles ist gut? Wie geht das? 

Alles ist gut, wenn jeder den Freiraum des anderen beachtet… und dieser Freiraum ist einen Flügelschlag lang. So viel Platz braucht jeder Pinguin um sich herum und so viel hat er in der Regel auch. Außer: einer kommt dem anderen zu nahe, dann gibt es Rangeleien. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es um den Rang in der Gruppe, der sich dadurch auszeichnet, das eine Flügellänge Platz zwischen ihm und dem anderen ist. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen, dass immer genügend Platz zwischen den dichtgedrängten Pinguinen auf der Kolonie ist? Mir nicht!

Wie gesagt, kommt einer zu nahe, ist es mit der Liebe und dem freundlichen Hin und Her zu Ende. Da gibt’s was auf den Flügel, nimm` den zurück, sonst gibst noch was auch den Schnabel – erst wenn der Abstand wieder hergestellt ist, setzt das Wohlfühlen auch wieder ein. Wer mag das verdenken, wenn man auf so engem Raum lebt, sind gewisse „Sicherheitsdistanzen“ notwendig.

Wie ist das eigentlich beim Menschen? Gar nicht so viel anders. Eine Armlänge vom andern weg und alles ist klar, ich kann dem anderen in die Augen sehen und mit ihm sprechen. Ich will nicht darüber phantasieren, was alles passieren kann, wenn jemand kurze Arme hat!

Nein, ich denke gerade an die Situation im Aufzug: von wegen eine Armlänge – manchmal muss alle eingezogen werden, z.B. der Bauch, damit er den anderen nicht berührt. Da stehen wir dichter als in einer Pinguinkolonie.

Wie geht’s Ihnen im Fahrstuhl? Eingeklemmt stehen wir nebeneinander, Augen auf den Boden oder auf den Aufzugsknöpfen, im Kopf der Gedanke, „wann sind wir endlich oben oder unten“, peinliches Schweigen oder zwanghaftes Gelabbere. Kein Abstandwarner wie es ihn in modernen Autos gibt, der pipst, weil wir so auf einander hängen. Irgendwie hängt mir der andere im Fahrstuhl so richtig auf „der Pelle“, mehr Platz ist ja auch nicht da. Gibt es eine Lösung? Ich freue mich, wenn ich Aufzug fahre, denn ich weiß, es geht vorbei und der Pinguin muss sein ganzes Leben so verbringen.


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